
Stell dir vor, 99% der Weltbevölkerung würden im Autismus-Spektrum leben. In dieser Welt wären die neurotypischen Menschen, also jene ohne autistische Merkmale, die Minderheit. Die Gesellschaft, wie wir sie kennen, würde sich grundlegend verändern. Die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, interagieren und ihre Umwelt gestalten, wäre ganz anders. In dieser Welt wäre das, was wir heute als typisch autistisch bezeichnen, die Norm, und die Verhaltensweisen und Denkweisen der neurotypischen Menschen wären ungewöhnlich.
Eine neue Normalität
In einer Welt, in der die Mehrheit der Menschen im Autismus-Spektrum lebt, würden die sozialen Regeln und Erwartungen an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der autistischen Mehrheit angepasst werden. Kommunikation könnte vor allem schriftlich oder über andere nonverbale Methoden erfolgen, um denjenigen entgegenzukommen, die Schwierigkeiten mit der mündlichen Kommunikation haben. Direkter Blickkontakt und Smalltalk könnten weniger betont werden, da diese für viele Autisten unangenehm oder schwer verständlich sind. Stattdessen würde eine klare, direkte Kommunikation bevorzugt.
Anpassung der Umwelt
Die Umgebung wäre wahrscheinlich sehr strukturiert und vorhersehbar, um den autistischen Bedürfnissen nach Routine und Beständigkeit zu entsprechen. Öffentliche Räume wären ruhig und reizarm gestaltet, um sensorische Überlastung zu vermeiden. Schulen und Arbeitsplätze würden individuelle Lern- und Arbeitsstile unterstützen und spezialisierte Programme anbieten, die auf die besonderen Fähigkeiten der autistischen Bevölkerung abgestimmt sind.
Die Minderheit der Neurotypischen
In dieser autistischen Mehrheitswelt wären die neurotypischen Menschen diejenigen, die sich anpassen müssten. Ihre Art zu kommunizieren und zu interagieren könnte als merkwürdig oder unverständlich wahrgenommen werden. Sie könnten Unterstützung benötigen, um sich in einer Welt zurechtzufinden, die nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Das Konzept der sozialen Intuition, das vielen neurotypischen Menschen vertraut ist, könnte als aussergewöhnlich betrachtet werden.
Perspektivwechsel
Dieser Gedankengang zeigt, wie relativ das Konzept der Normalität ist. Was wir als normal ansehen, wird stark von der Mehrheit und den gesellschaftlichen Normen bestimmt. Wenn sich die Mehrheit ändert, ändern sich auch die Normen. In einer Welt, in der die Mehrheit im Autismus-Spektrum lebt, wären die Eigenschaften, die wir heute als typisch autistisch bezeichnen, die Norm, und die Eigenschaften der neurotypischen Menschen wären ungewöhnlich.
Akzeptanz und Vielfalt
Es ist wichtig zu erkennen, dass Normalität ein konstruiertes Konzept ist, das sich ändern kann. Jede Gesellschaft sollte bestrebt sein, eine Umgebung zu schaffen, die die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen und Fähigkeiten respektiert und unterstützt. Egal ob neurotypisch oder autistisch, jeder Mensch hat einzigartige Stärken und Bedürfnisse, die Anerkennung und Wertschätzung verdienen. Durch diesen Perspektivwechsel können wir lernen, offener und toleranter gegenüber Unterschieden zu sein und die Vielfalt als Bereicherung zu sehen.